„Fremdbesitz“ – Anmerkungen zur Umfrage von BMJ und BRAK vom Oktober 2023
„Rechts- und Patentanwaltskanzleien dürfen nach geltendem Recht keine reinen Kapitalgeber als Gesellschafter haben. Doch das sogenannte Fremdbesitzverbot steht in der Diskussion.“ Mit diesen Worten leitet die Bundesrechtsanwaltskammer den Begleittext zur Umfrage ein, die am 19.10.2023 gestartet wurde. Klare Ansagen zum geltenden Recht, dann – mit „doch“ eingeführt -die Erwähnung einer Diskussion.
Überraschend. Denn die Umfrage wäre zum jetzigen Zeitpunkt nicht denkbar ohne den Auslöser: eine Entscheidung des Bayerischen Anwaltsgerichtshofes vom 20.4.2023. Darin hat das Gericht dargelegt, warum seines Erachtens gute Gründe dafür sprechen, das in Deutschland gesetzlich verankerte Verbot als europarechtswidrig anzusehen. Und es hat genau diese Frage dem Europäischen Gerichtshof vorgelegt.
Entscheidet der EuGH im Sinne der Vorlage, dann steht fest, dass das deutsche Verbot zumindest bei grenzüberschreitenden Sachverhalten innerhalb der EU schon heute unwirksam ist. Je nach Begründung könnte das auch eine Verfassungswidrigkeit indizieren. Der AGH stützt sich darauf, dass das Verbot inkohärent ist und der Regelungszweck nicht immer nachvollziehbar. Das würde dann im Grunde auch für rein nationale Sachverhalte gelten.
Die Einführung der BRAK fährt fort: „In einer Umfrage will das Bundesjustizministerium mit Unterstützung der BRAK ergründen, ob die Anwaltschaft überhaupt Bedarf für eine Lockerung sieht.“ „Überhaupt“ – ein unscheinbares Wort, das indes die ganze Richtung bereits augenfällig macht: Braucht die Anwaltschaft das „überhaupt“ oder ist es verzichtbar?
Das ist, wenn man den Kontext einbezieht, eine sonderbare Fragestellung. Das Verfahren ist beim EuGH anhängig. Entscheidet das Gericht pro Freiheit, dann stellt sich die Frage, ob Anwälte so etwas brauchen, nicht. Es wäre dann einfach da.
Aber auch sonst muss die Frage erlaubt sein, ob es sinnvoll ist, einen Anbieter auf einem Markt (hier: dem der Rechtsdienstleistung), der von einem früheren Monopol her kommt, zu fragen, ob er gerne weitere, womöglich: potentere Akteure auf diesem Markt „braucht“. Wer braucht schon Konkurrenz, noch dazu solche, die rasch Marktanteile gewinnen könnte?
Die Einführung beschäftigt sich sodann mit den postulierten Zielen des Fremdbesitzverbotes. Es solle die Unabhängigkeit „sichern“. „Gleichwohl stellt sich unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten die Frage, ob das Fremdbesitzverbot gelockert werden könnte.“ Unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten? Zunächst einmal verlangt die Verfassung, Einschränkungen der freien Berufsausübung nur dann zuzulassen, wenn sie durch bestimmte Erfordernisse notwendig sind. Erstaunlich, dass nun auf einmal wirtschaftliche Aspekte in den Vordergrund gerückt werden, obwohl es primär um das Recht geht.
Die ersten drei Fragen der Umfrage dienen lediglich dazu, zu erfassen, aus welcher Kanzlei derjenige kommt, der die Antworten gibt. Da es keinerlei Überprüfungsmechanismus gibt und den Fragebogen sogar ausfüllen kann, wer lediglich behauptet, Anwalt zu sein, können die Angaben zutreffen, verifiziert ist das aber nicht.
Inhaltlich relevant wird es dann ab Frage 4.
Frage 4: Halten Sie eine Lockerung des Fremdbesitzverbotes – insbesondere vor dem Hintergrund des durch die digitale Transformation gestiegenen Finanzierungsbedarfs – für erforderlich? Mehrfachnennungen sind möglich.
Ja, ich halte eine Lockerung zum Erhalt der (internationalen) Wettbewerbsfähigkeit der Anwaltschaft für erforderlich.
Ich halte eine Lockerung zum Erhalt der (internationalen) Wettbewerbsfähigkeit zwar nicht für erforderlich, würde sie aber als Chance begrüßen.
Ich stehe einer Lockerung des Fremdbesitzverbotes neutral gegenüber.
Nein, für mein Geschäftsmodell bedarf es einer Lockerung des Fremdbesitzverbotes nicht (kein erhöhter Finanzierungsbedarf oder Finanzierungsbedarf kann anders gedeckt werden kann, z.B. durch Darlehen).
Ich lehne eine Lockerung des Fremdbesitzverbotes generell ab.
Keine Antwort erscheint passend.
Die digitale Transformation hält in sehr unterschiedlichem Ausmaße in den Kanzleien Einzug. Das Geschäftsmodell der ganz überwiegenden Anzahl deutscher Kanzleien ist rein national und erreicht keine Größenordnung, die nennenswerte Investitionen in eine eigenständige Entwicklung erlauben würde. Da die Antworten von Anwälten gegeben werden, die bislang gefühlt mit der Transformation wenig zu tun haben, ist der Ausgang dieser Fragerunde leicht vorhersehbar.
Tatsächlich aber sind Unternehmen längst dabei, automatisierte Lösungen für Rechtsfragen in großem, den Markt massiv verändernden Umfang zu finden. Das betrifft unmittelbar die Geschäftsbereiche, die zum Brot-und-Butter-Geschäft zählen und für die wirtschaftliche Existenz der Kanzleien entscheidend sind. Setzt die Anwaltschaft hier nicht etwas in der Fläche entgegen, so werden insbesondere kleinere Strukturen schlicht vom Markt verschwinden. Es ist vor diesem Hintergrund eine gängige Fehleinschätzung, nationale und regionale Geschäftsmodelle seien von der Entwicklung nicht berührt.
Ein bloßes Votum „dagegen“ erscheint manchem als der einfachste Weg. Angesichts der verfassungs- und europarechtlichen Dimensionen ist das indessen mittelfristig nicht erfolgversprechend, sondern erweckt den falschen Eindruck, der Berufsstand hätte es selbst in der Hand, über den Markt und andere Teilnehmer frei zu entscheiden.
Frage 5: Wollen Sie selbst gerne (mehr) in die Digitalisierung Ihrer Kanzlei/Berufsausübungsgesellschaft investieren und wenn ja in welcher Form? Mehrfachnennungen sind möglich.
Ja, ich würde gerne zusätzliche Investitionen in die Digitalisierung meiner Kanzlei tätigen.
Ja, ich sehe Bedarf für den Aufbau einer eigenen Legal Tech-Plattform.
Ja, ich sehe Bedarf für eine umfassende Integration von KI-Anwendungen.
Ja, Investitionsbedarf besteht insbesondere in Bezug auf die Digitalisierung der Kanzleistrukturen und den Erwerb von Lizenzen an bestehenden IT-Produkten (z.B. Kanzleisoftware).
Nein, dafür sehe ich derzeit keinen Bedarf.
Keine Antwort erscheint passend.
Vergleicht man einmal die finanziellen Möglichkeiten normaler Kanzleien mit der Potenz am Markt agierender Investoren, so wird unübersehbar, dass diese Frage nur von den wenigsten Kanzleien seriös mit eigenen Investitionsabsichten beantwortet werden wird.
Frage 6: Könnten Sie sich vorstellen, selbst reine Kapitalgeber als Gesellschafter aufzunehmen, wenn dies erlaubt wäre?
Ja, ich würde Kapitalgeber in meine (ggf. zukünftige) Berufsausübungsgesellschaft aufnehmen.
Ich würde die Aufnahme reiner Kapitalgeber in Betracht ziehen.
Nein, die Aufnahme reiner Kapitalgeber kommt für mich nicht in Frage.
Ich stehe einer Aufnahme reiner Kapitalgeber neutral gegenüber.
Keine Antwort erscheint passend.
Schon in der Einführung zur Umfrage wird die Unabhängigkeit der Anwaltschaft betont. Angehörige der „freien“ Berufe werden typischerweise mit dem Gedanken sozialisiert, selbst über große und kleine Elemente ihrer Arbeitswelt bestimmen zu können. Sie fügen sich bereits in aktuelle Strukturen nur mit Schwierigkeiten ein. Die Vorstellung, sich in die Fänge Unbekannter zu begeben, muss ihnen den Schauer über den Rücken laufen lassen. Das ist ebenso irrational wie im Ergebnis irrelevant, aber für die Antwort vieler Beteiligter voraussehbar entscheidend.
Frage 7: Falls Sie Kapitalgeber als Gesellschafter in Ihre Berufsausübungsgesellschaft aufnehmen bzw. dies in Betracht ziehen würden: In welchem Umfang käme eine Beteiligung reiner Kapitalgeber für Sie in Frage?
bis maximal 10 %
bis maximal 25 %
bis maximal 49,9 %
unbegrenzt
Keine Antwort erscheint passend
Eine isolierte Betrachtung von Leistungen in einem Vertragsverhältnis – und die Verbindung mit einem Investor wäre ein solches – unter Außerachtlassung der Gegenleistungen ist sinnlos. Will sich ein potenzieller Mitgesellschafter beteiligen, dann wird er etwas anbieten. Nur als Gesamtpaket kann beantwortet werden, wie viel Prozent zwischen 0 und 100 das wert ist.
Frage 8: Sehen Sie durch die Aufnahme reiner Kapitalgeber als Gesellschafter (ohne Berufsausübung) Gefahren für die anwaltlichen Kernpflichten (insb. Unabhängigkeit, Verschwiegenheit, Freiheit von Interessenkonflikten)? Mehrfachnennungen sind möglich.
Ja, diese Gefahren lassen sich auch nicht durch gesetzliche Vorgaben hinreichend eindämmen.
Ja, diese Gefahren können aber durch gesetzliche Vorgaben hinreichend eingedämmt werden.
Ja, diese Gefahren sehe ich allerdings erst bei einer Beteiligung von über 10 %.
Ja, diese Gefahren sehe ich allerdings erst bei einer Beteiligung von über 25 %.
Ja, diese Gefahren sehe ich allerdings erst bei einer Beteiligung von über 49,9 %.
Nein, ich sehe keine Gefahren für die anwaltlichen Kernpflichten.
Keine Antwort erscheint passend.
Bislang sieht die Lösung so aus, dass der Gesetzgeber schlicht sämtliche Gesellschafter den entsprechenden Vorschriften unterwirft. Wenn er daran festhalten sollte – und es gibt keine Anzeichen dafür, dass es anders wäre -, sind die zukünftigen Gesellschafter denselben Regeln unterworfen.
Bemerkenswert und ehrlich ist übrigens, dass hier einmal von „Kernpflichten“ gesprochen wird und nicht – wie sonst üblich – von „Werten“.
Frage 9: Neben dem Fremdbesitzverbot dürfen Dritte nach aktueller Rechtslage auch nicht am Gewinn von (patent-)anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften beteiligt werden. Könnten Sie sich vorstellen, eine Finanzierung mit Gewinnbeteiligung in Anspruch zu nehmen, wenn dies erlaubt wäre?
Ja, ich würde Finanzierungen mit Gewinnbeteiligung in Anspruch nehmen.
Ich würde Finanzierungen mit Gewinnbeteiligung in Betracht ziehen.
Nein, Finanzierungen mit Gewinnbeteiligung kommen für mich nicht in Frage.
Ich stehe Finanzierungen mit Gewinnbeteiligung neutral gegenüber.
Keine Antwort erscheint passend.
Ob partiarische Darlehen wirklich berufsrechtlich unzulässig sind, darf bezweifelt werden. Die Prämisse der Fragestellung trifft womöglich nicht zu.
Im Übrigen gäbe es auch keinen vernünftigen Grund, Finanzierungen nicht – wenn alle Beteiligten das wollen – an den Erfolg zu knüpfen. Zwar würde der Kapitalgeber dann an Gewinnen partizipieren, aber er würde damit der Kanzlei auch einen Teil des wirtschaftlichen Risikos von den Schultern nehmen. Wäre das nicht angenehm?
Frage 10: Sehen Sie durch die Beteiligung Dritter am Gewinn von (patent-)anwaltlichen Berufsausübungsgesellschaften Gefahren für die anwaltlichen Kernpflichten (insb. Unabhängigkeit, Verschwiegenheit, Freiheit von Interessenkonflikten)?
Ja, diese Gefahren lassen sich auch nicht durch gesetzliche Vorgaben hinreichend eindämmen.
Ja, diese Gefahren können aber durch gesetzliche Vorgaben hinreichend eingedämmt werden.
Nein, ich sehe keine Gefahren für die anwaltlichen Kernpflichten.
Keine Antwort erscheint passend.
Welche Gefahren sollten das sein? Abstrakt ist es immer möglich, dass Anwälte gegen ihre Pflichten verstoßen. Aber warum hängt das davon ab, ob die Gesellschafter ihrerseits Anwälte oder andere Unternehmer sind?
Frage 11: Sollten Sie weitere ergänzende Anmerkungen haben, die bei den Reformüberlegungen Berücksichtigung finden sollten, dann wären wir um ergänzende Ausführungen (max. 200 Zeichen) dankbar.
200 Zeichen … Das reicht, um an die Berufsfreiheit des Artikels 12 des Grundgesetzes zu erinnern.