F.A.Z., 25.03.2020, Wirtschaft (Wirtschaft), Seite 16
HANNOVER. Leichterer Zugang zu Kurzarbeitergeld, Aussetzung der Insolvenzantragspflicht, schnellere Kredit- und Bürgschaftsgewährung: Die Bundesregierung versucht, die wirtschaftlichen Folgen des Coronavirus einzudämmen. Viele Unternehmen sehen darin eine Chance, die Krise wirtschaftlich zu überstehen. Doch die angekündigten Staatshilfen klingen nur im ersten Moment gut. Auf den zweiten Blick erhöhen sich hierdurch für viele Unternehmen die Risiken. Wer verantwortungsvoll mit der aktuellen Situation umgehen will, muss langfristiger planen.
In einigen Branchen und Betrieben ist absehbar, dass sich eine Insolvenz nicht vermeiden lässt. Beispiel Touristik: Sicher ist, dass jede Reisetätigkeit auf Wochen, vermutlich Monate zum Erliegen kommt. Im Falle eines deshalb erforderlichen Insolvenzantrags zahlt die Agentur für Arbeit den vollen Lohn für drei Monate. Wurde aber unmittelbar zuvor Kurzarbeitergeld beantragt, wird in den kommenden Tagen lediglich gekürztes Gehalt ausgezahlt. Darüber hinaus ist die Arbeitskraft faktisch halbiert. Damit gilt in der Tendenz: Wer früh Kurzarbeitergeld beantragt, spart dem Staat Geld, verkürzt aber auch seine eigenen Rettungschancen, wenn es dann zeitnah doch zur Insolvenz kommt. Auch schnellere Kredit- oder Bürgschaftsgewährungen lösen das Problem der Illiquidität nur scheinbar: Zahlungsunfähigkeit könnte, wenn das Geld denn wirklich zeitnah käme, abgewendet werden, jedoch ist langfristig eine Überschuldung das Resultat.
Das Bundesjustizministerium plant außerdem eine Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis zum 30. September 2020, am heutigen Mittwoch soll der Bundestag die neuen Regeln schon beschließen. Zwei Bedingungen werden an diese Aussetzung geknüpft: die Sanierungsfähigkeit und die Corona-Betroffenheit. Schon die Infektion eines Mitarbeiters kann selbst größere Betriebe zum Erliegen bringen. Die sogenannte Betroffenheit ist also problemlos möglich. Anders sieht es dann schon mit der Sanierungsfähigkeit aus. Wer könnte sagen, ob die Reisebranche in absehbarer Zeit gesundet? Hier ist kein Platz für Unsicherheiten. Denn werden Fristen nicht eingehalten, drohen schwerwiegende Konsequenzen. Kommt am Ende jemand zum Ergebnis, es hätte doch schon einen Insolvenzantrag gebraucht, so droht schnell der Vorwurf der Insolvenzverschleppung.
Wird die Insolvenz wahrscheinlich, so hat ein Unternehmer zwei Möglichkeiten: abzuwarten und staatliche Hilfen anzunehmen in dem Wissen, dass sie nicht wirklich helfen. Die zweite: handeln. Dafür gibt es die Insolvenzantragstellung wegen „drohender“ Zahlungsunfähigkeit. „Drohend“, das bedeutet: Eigentlich besteht noch kein Zwang, zum Insolvenzgericht zu gehen. Aber man darf das tun, wenn man verantwortungsvoll mit dem eigenen Unternehmen verfahren möchte. Die Vorteile des frühen Insolvenzantrags: Alle Arbeitnehmer sind noch an Bord, die Kunden treu, die Qualität gut und sogar gewisse Geldmittel noch verfügbar. Ganz entscheidend hier: Ein Verwalter kann noch rechtzeitig den Hebel ansetzen. Wenn er oder sie es richtig anstellt, sind die Chancen einer gelungenen Rettung hoch.
Wichtig ist, alles auf das Ende hin auszurichten: auf den Moment, in dem ein Verwalter das (Unternehmens-)Schiff wieder aus dem sicheren Hafen des Insolvenzverfahrens entlassen kann. Das gelingt nicht immer, und in Zeiten der weltweiten Corona-Krise sind Vorhersagen dazu praktisch unmöglich geworden. Aber es kann gelingen, und nur wer sich das Ziel setzt, wird es erreichen können.
Simple Rezepte und den Heilsbringer Politik mit Rettungsgarantie gibt es in der Corona-Krise nicht. Unternehmenslenker müssen ihre wirtschaftliche Situation mit kühlem Kopf analysieren und realistische Optionen durchdenken. Angst oder Panik sind nie gute Ratgeber. Auch wenn die Corona-Krise gerade erst so richtig einsetzt, sollte jetzt keine Zeit verspielt werden: Ein frühzeitiger Insolvenzantrag kann zumindest langfristig die bessere Wahl sein.